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Rollstuhlbus-Konvoi

16. Oktober 2003
"ROLLSTUHLBUS-KONVOI" nach FrankfurtPremiere für eine einzigartige Aktion in der Bundesliga-Geschichte!Der "1. FCK Fanclub Fairplay" organisierte 1997 den "Rollstuhlbus-Konvoi" nach Frankfurt ins Waldstadion zum letzten Zweitligaspiel des 1. FCK. Nachfolgend berichtet der "Rote Teufel" vom Betzenberg, wie er das Geschehen miterlebte:FOTO: Ein Imposantes Bild: Der "Rollstuhlbus-Konvoi" nach Frankfurt (Foto: Paul Wüst)"Es war einmal ein wunderschöner Frühsommertag. Als an diesem Morgen der "Rote Teufel" sein feuerrotes Haupt vom grünen Rasen des "Fritz-Walter-Stadions" auf dem Betzenberg erhob, wurde es hell im weiten Westricher Land. Letzte Nebelschwaden verloren den Kampf gegen die heiße Glut der teuflischen Macht, als er seinen Blick über den Stadionrand hinaus nach Westen gen Landstuhl richtete. Es war ein besonderer Morgen. Eine prickelnde Spannung lag über der Sickingenstadt und ihrer verträumten Umgebung. Selbst die alte Burgruine "Nanstein" hatte Mühe, ihre in mehreren Jahrhunderten nie ins Wanken geratene Standhaftigkeit zu wahren. Etwas besonderes lag in der Luft des erwachenden Tages...So war es auch nicht weiter verwunderlich, daß viele Rollstuhlfahrer und andere behinderte Fußballfreunde sich in dieser morgendlichen Stunde lange vor dem üblichen Erwachen unruhig in ihren Betten hin- und her wälzten. Die meisten erwachten früher als üblich. Manche spürten ein eigenartiges, intensives Prickeln unter der Haut oder in der Magengegend.Diese Spannung steigerte sich nach dem Aufstehen immer mehr, je näher sich die Zeiger der St. Andreas Kirchenuhr sich auf die neunte Stunde Uhr zu bewegten. Aber auch anderen Orts geschah ungewöhnliches: Das Betriebsgelände der Busfirma Imfeld belebte schon um 8 Uhr ein reges Treiben. Gute Geister, aus ganz Rheinland-Pfalz und dem Saarland angereist, ließen sich in die Funktion von Hebebühnen, Fahreigenschaften von Rollstuhlbussen und den vorgesehenen Tagesablauf einweisen. Nie zuvor in der über 50jährigen Firmengeschichte hat es hier ein so eigenartiges Treiben gegeben...Endlich, mit dem neunten Schlag der Kirchenuhr, starteten die ersten Fahrzeugkolonnen zum Wohnheim "St. Martin" und zum Reha-Zentrum Landstuhl auf den Rothenborn. An beiden Orten erwartete die Bus-Karawane ein aufgeregtes Durcheinander. Dennoch löste sich dieses scheinbar nicht zu bändigende Knäuel aus Vorfreude, Reisefieber und erwartungsvoller Begeisterung erstaunlicher Weise rasch auf. Jeder bekam seinen Platz in einem der Fahrzeuge zugewiesen, so daß alle pünktlich zur Verabschiedung auf dem Gelände der Busfirma Imfeld eintrafen. Darauf warteten schon der "oberste Einwohner" der Stadt Landstuhl, Bürgermeister Klaus Grumer, der "erste Mann" im Kreis, Landrat Rolf Künne, Firmenchef Frank Imfeld, der Geschäftsführer des DRK-Kreisverbandes Kaiserslautern-Land, Herr Geib sowie als Vertreter des 1. FC Kaiserslautern Vizepräsident Axel Ulmer und Aufsichtsratmitglied Peter-Werner Landry. Eine chaotische Unordnung von Mensch und Technik prägte das beeindruckende Bild, als die Fahrzeuge den Hof erreichten. So einen Massenauftrieb hatte das Firmen-Urgestein Walter Krauß, den Organisatoren stets bei plötzlich auftretenden kleinen und großen Problemen hilfreich zur Hand gehend, in all seinen langen Dienstjahren noch nie erlebt...!FOTO: Offizielle Verabschiedung in Landstuhl auf dem Betriebsgelände der Firma "Busverkehr Imfeld": Von links Fanbeirat und Ehrenmitglied Otto Roth, 1. FCK-Vizepräsident Axel Ulmer, Landrat Rolf Künne, "Fairplay"-Schriftführer und Organisator Erich Huber, Firmenchef Frank Imfeld, Bürgermeister Klaus Grumer und die Fanclub-Vorsitzende und Organisatorin Helga Huber. (Foto: Paul Wüst)Nun sprachen nacheinander die Herren Grumer, Künne und Ulmer sehr schöne und bedeutende Worte. Sie lobten diese Aktion allesamt auf "Teufel komm raus". Der hatte aber schon seine Hörner gespitzt und bekam, auf einem Flutlichtmast sitzend, vom Betzenbergs aus dank dem leichten Westwind alles mit. Dabei gab's bis jetzt ja noch gar nicht zu würdigen. Der Lauf des Tages mußte erst zeigen, ob alles wie vorgesehen gelingen würde. Gleich wie, der Nachfahre Franz von Sickingens (Klaus Grumer) hatte mehr zu bieten als schöne Worte: Er überreichte der ersten Vorsitzenden des 1. FCK-Fanclubs "Fair Play" Wittlich/Landstuhl e.V., Helga Huber, einen Scheck als Treibstoffkostenzuschuß! Ein Sprecher des Fanclubs redete danach weniger als alle Vorredner, bewegte dafür umso mehr: "Genug der Worte, rein in die Fahrzeuge und los geht's...!"Endlich! Lange genug hatten alle darauf warten müssen - einige vor Vorfreude unruhig geschlafen, andere voller Ungeduld Gott, die Welt und unseren Teufel auf dem Betzenberg unheimlich genervt! Aber jetzt rollte er: Der "Rollstuhlbus-Konvoi"! Und zwar zuerst einmal auf den Betzenberg! Dort warteten weitere Teilnehmer genau so erwartungsvoll wie die zuvor in Landstuhl, um sich dem Troß anzuschließen. Nicht nur die immer präsenten Rentner, auch der Teufel traute seinen Blicken nicht so recht. Er rieb sich erst mal die Augen, um ganz sicher zu sein, daß er nichts märchenhaftes träumte. In fast hundert Jahren 1. FCK-Geschichte hatte er bereits vieles erlebt, aber an so etwas kurioses konnte er sich nicht zurückerinnern: Eine Karawane aus lauter 1. FCK-verrückten Rollstuhlfahrern! "Teuflisch stark", nickte er zustimmend!Zwischen all dem Treiben huschten emsige Fanclubmitglieder umher, die an jeden Teilnehmer eine "RPR-Verpflegungstasche" verteilten. Je ein Schoko-Croissant (Spende Backhaus Klein), eine Brezel und eine Laugenstange (Spende Barbarossa-Bäckerei), ein Getränk (Spende Karlsberg-Brauerei) und eine Tüte Crunchips (Spende Bahlsen) sollten sicherstellen, daß niemand während der Fahrt vom Hungergespenst gepeinigt würde. Dazu gabs für jeden ein T-Shirt (Spende Bahlsen-Crunchips) und für alle behinderten Fußballfans einen 1. FCK-Schal.10 ehrenamtlich tätige Ordner stiegen im Reisebus zu und die 8 ebenfalls umsonst tätigen Sanitäter des DRK-Kaiserslautern-Stadt schlossen sich der Kolonne mit ihrem eigenen Fahrzeug an. Unter Mithlife des 1.FCK-Sicherheitschefs Harald Heidermann startete der Konvoi nun vom Parkplatz Ost aus mit Polizeigeleit zur Autobahn, um selbstständig weiter bis zur Raststätte Wattenheim zu fahren. Nach einer kurzen Pause und weiteren Zustiegen setzte sich der imposante Konvoi wieder Richtung Frankfurt in Bewegung.Schade nur, daß Teufel nicht im Himmel wohnen. Das herrliche Wetter mit angenehmen Temperaturen hätte unserem "Betzi", auf einer weißen Wolke sitzend, ein eindrucksvolles Bild geboten, als die Fahrzeugschlange die langgezogene Kurve des Grünstadter Berges hinunter rollte. Denn von seinem Flutlichtmast aus konnte er die Fahrt nur bis zum Diemersteiner Wald verfolgen. Aber keine Sorge, zwei Kamerateams von DSF (Hattrick) und SWF (Flutlicht) stellten sicher, daß auch alle daheim gebliebenen im Fernsehen ausführlich informiert wurden. Wie schon in der Woche zuvor der Geschäftsanzeiger die Bewohner der Region durch eine Sonderseite mit dem Grußwort des Schirmherrn der Aktion, dem Rheinland-Pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck, und einem weiteren des Landrates Rolf Künne, vorab bestens über den "Rollstuhlbus-Konvoi" unterrichteten.Am Rasthof Lorch wurde die Karawane komplettiert. Neben den 16 Rollstuhlbussen, dem VW-Fanbus als Führungsfahrzeug, einem Kleinbus für behinderte, aber gehfähige Fans, dem DRK-Fahrzeug und einem großen Bus schlossen sich zwei Privat-PKW und ein weiterer Reisebus der Kolonne an. FOTO: Aufseheneregend: Die Fahrzeuge stehen in Reih und Glied während einer Rast auf dem Parkplatz (Foto: Paul Wüst)Untereinander mit Funkgeräten des 1. FC Kaiserslautern verbunden, klappte das "Konvoifahren" ganz ausgezeichnet. Und dies, obwohl sich viele der ehrenamtlichen Fahrer durch die Übernahme dieser Aufgabe mit einer völlig ungewohnten Situation konfrontiert sahen. Einfach phantastisch, wie jeder seine selbstauferlegte Herausforderung souverän meisterte. So verwunderte es nicht, daß trotz einer Großbaustelle am Frankfurter Kreuz alle rechtzeitig den vorgesehenen Parkplatz auf der A3 erreichten. Zwei motorisierte Polizeibeamte erwarteten den Konvoi, um ihn durch den massiven, sich bereits stauenden Anreiseverkehrs der zahlreichen Pfälzer Fans, sicher und zügig zur vorgesehenen Entladestelle in der Otto-Fleck-Schneise nahe des Waldstadions zu lotsen. Hätte die Eintracht im Verlauf der letzten Saison auch so überragende Leistungen gezeigt wie die Frankfurter Polizei, wären sie fraglos sofort wieder aufgestiegen...!FOTO: "Einzug der Gladiatoren": Über 30.000 Zuschauer begrüßten die Rollstuhlfahrer im Frankfurter Waldstadion mit freundlichem Applaus (Foto: Paul Wüst)Gegen 14.40 Uhr war's dann soweit: Der absolute Höhepunkt dieses außergewöhnlichen Tages stand nun bevor: Der Einmarsch ins Frankfurter Waldstadion. Durch das Marathontor kommend wurden die Rollstuhlfahrer auf der Tartanbahn entlang der gesamten Gegentribüne bis vor die bereits gut gefüllte Fankurve des 1. FCK geschoben. Ein tolles Erlebnis für alle Beteiligten! Angereichert durch die sagenhafte Atmosphäre des Innenraums mit echter "Betze-Stimmung" von mehr als 20.000 1. FCK-Fans - da spielte die eher mittelmäßige Sicht auf's Spielfeld ebenso eine untergeordnete Rolle wie die dürftigen Leistungen beider Teams beim späteren 0:0!Mehr Beachtung fanden da schon die Worte des Dankes durch einen Fanclubvertreter im Anstoßkreis während der Halbzeit an die Verantwortlichen von Eintracht Frankfurt. Vor 38.000 Zuschauern würdigte er die Bereitschaft der Hessen, den "Rollstuhlbus-Konvoi" aufzunehmen und freute sich über die Gastfreundschaft. Zuvor hatte bereits der heimische Stadionsprecher "denjenigen gedankt, die es ermöglicht haben, daß die Rollstuhlfahrer heute da sind!"FOTO: Das "Bild des Tages": Nationalspieler Martin Wagner bedankt sich bei unserm Mitglied Georg Lohwasser für die Unterstützung. (Foto: Paul Wüst)Mit dem Abpfiff zeigten einige der 1. FCK-Profis, wie sich müde Teufel direkt nach Spielende in "gute Feen" verwandeln können. Sie kamen sofort in die Kurve zu den Rollstuhlfahrern und bedankten sich bei ihnen für deren großartige Unterstützung. Unbeschreibliche Freude bei allen, besonders aber bei den wenigen, die ein Trikot, Stutzen oder einen Torwarthandschuh von den Spielern persönlich geschenkt bekamen. Diese "Bilder des Tages" wurden am Abend auch den Fernsehzuschauern ausführlich gezeigt. Selbst der "Rote Teufel" auf dem heimischen Betzenberg schaute dabei beeindruckt, fast schon ein wenig gerührt, zu. Augen voller Begeisterung, Freude pur in den strahlenden Gesichtern, Fassungslosigkeit vor Glück - Momentaufnahmen, die bei den Organisatoren alle Hindernisse und Widrigkeiten im Vorfeld der Organisation auf einen Schlag vergessen ließen. Der Anblick solch überwältigter Menschen war mehr als reichlich Lohn für sämtliche Mühen in den Wochen und Monaten zuvor.Mittlerweile warteten die Fahrer an ihren Fahrzeugen auf das Zeichen der Polzei, um nach Abebben des Verkehrsflusses zum Einstiegsort in der Otto-Fleck-Schneise zu fahren. Während der Rückfahrt stoppte der Konvoi letztmals an der Raststätte Lorch, um danach alle Beteiligten ab dem Rasthof Wattenheim auf direktem Weg zu ihren Heimatorten zurückzubringen. Während sich der "Rote Teufel" auf dem Betzenberg zufrieden auf dem Rasen des "Fritz-Walter-Stadions" zur Ruhe begab, die Fahrer ihre Wagen auftankten, reinigten und zu den jeweiligen DRK-Haltern in deren Wohnorte (Landstuhl, Ramstein, Kindsbach, Bruchmühlbach, Erzenhausen, Otterbach, Katzweiler und Morlautern) zurückbrachten, wußten viele der behinderten Fußballfreunde in ihrer vertrauten heimischen Umgebung das Geschehen der letzten Stunden noch nicht so recht einzuschätzen. War alles Realität? Alles wirklich geschehen, wirklich erlebt? Oder hatten sie am Ende alles nur geträumt? War alles vielleicht nur ein Märchen...?Mit dem Sonnenuntergang im Landstuhler Bruch ging ein weiterer Tag im Lauf der Schöpfung zu Ende. Der 1. Juni 1997 gehörte unwiderruflich der Vergangenheit an. Den behinderten Fußballfans blieb er aber ebenso wie dem "Roten Teufel" auf dem Betzenberg in bester Erinnerung noch lange erhalten. Mit der Gewißheit, dieses Erlebnis nicht wie ein Märchen gelesen, erzählt oder gesehen zu haben, sondern es wahrhaftig erlebt zu haben....